Donnerstag, 15. März 2012

Das Leben ist ein Wunschkonzert

Als wupperzeit mich auf die Idee brachte, man könnte einen Monat lang in der Kolumne Menschen ihre Lieblingsseiten im Internet vorstellen lassen, dachte ich sofort, dass das eine tolle Idee ist. Leider hatte ich nicht vorhergesehen, was für eine schwierige Sache das für mich persönlich werden könnte.
Zunächst fragte ich mich, welche Seiten ich denn oft besuche. Neben keinVerlag fielen mir diverse Seiten ein, die andere Menschen sicherlich auch oft benutzen, E-Mail-Anbieter, Nachrichtendienste, die Universitätshomepage, meine eigenen Projekte, Facebook und so weiter – nicht wirklich zielführend, denn mir fiel auf, dass ich diese Seiten zwar mehr oder minder täglich aufsuche, allerdings scheinen mir die Motive eher pragmatischer Natur: auf dem Laufenden zu bleiben, einfache Kommunikationswege, nötige Alltagsinformationen wie Moduleinschreibungen – wo bleibt da die Wertschätzung, die im Begriff „Lieblings~“ steckt?
Wertschätzung! Das ist es, dachte ich, und begann, darüber zu sinnieren, was ich gerne tue. Apropos Motive. Da fällt mir ein, wieso es vielen Künstlern so schwer fällt, sich an Termine zu halten. Motivation wird unterschieden in extrinsische und intrinsische Motivation. Erstere beschreibt Motivation, die durch äußere Anreize getrieben ist, damit lassen sich zum Beispiel biologische Grundbedürfnisse wie Hunger und Durst oder soziale Grundbedürfnisse nach Anerkennung oder schlichtweg guten Noten ganz gut erklären. (Wie genau, dafür gibt es verschiedene Ansätze, die hier zu weit führen.) Im Gegensatz dazu steht von innen angetriebenes Verhalten (sogenanntes intrinsisch motiviertes Verhalten). Dieses lässt sich nicht auf äußere Bedürfnisse zurückführen.
Ein Beispiel dafür ist Spielverhalten. Spielen folgt keinem äußeren Antrieb. Kunst, zumindest sagte man mir so, wohl auch nicht. Menschen schlussfolgern daraus, so die Theorie, dass sie etwas „gerne“ tun, wenn sie es aus innerem Antrieb tun. Und da steckt der Kasus Knacktus: Forscher fanden heraus, dass Belohnung und Bestrafung dazu führen, dass das ursprünglich von innen getriebene Verhalten seltener gezeigt wird, nämlich nur, wenn Anreiz dazu besteht (und zwar von außen). Die Konsequenzen sind dramatisch: soll jemand den Spaß am Lernen behalten, sollte man ihn nicht dazu zwingen; Kinder sollten sich langweilen dürfen, denn zu viel Input (der letztlich in empfundenem Lob oder Tadel endet) mündet in geringerem Spieltrieb. Ihr Kind muss nicht mit sieben Beethoven spielen! Und, klingelt es? Richtig, wenn von einem kreativen Produkt Äußerlichkeiten abhängen wie Plattenverträge, Kolumnentermine, ... widerspricht das dem intrinsischen Geist der Sache. Gut, hätten wir also auch ein für alle Mal darüber nachgedacht, warum Kolumnenschreiben kein Zuckerschlecken ist. Das ist jetzt (wie in der Alltagspsychologie üblich) ein Beschluss, den es im Leben stets zu bestätigen gilt.
Was lerne ich daraus? Ja, ich studiere wirklich gerne, trotz Prüfungsstress, aber wie bringt mich das zu meiner Lieblingsseite? Ha! Musiker!
Ich dachte an all meine Lieblingskünstler, musste jedoch feststellen, dass ich deren Webauftritte stets auf der Suche nach konkreter Information durchforste. Wieder nichts. Doch dann, welch Heil, kurz vor 0 Uhr der rettende Einfall: als ich vor etwa einem Jahr auf der Bandseite von Wir sind Helden las, dass Judith Holofernes Gast bei TVnoir sein würde, betrat ich sie zum ersten Mal:
Link
Moderiert von dem einmaligen Tex Drieschner werden einmal im Monat zwei Künstler eingeladen, die Musiktalkshow (mittlerweile läuft sie auch auf ZDFkultur – warum schreiben die eigentlich ZDF groß und Kultur klein?) besteht zum großen Teil aus Interviews und musikalischen Einlagen der beiden Gäste. Jeder Gast muss zum Beispiel ein Cover spielen, das führt zu sehr interessanten Interpretationen. Außerdem gibt es ein paar sympathisch-schräge Einlagen: Pantomime oder die Rubrik „Das Leben ist ein Wunschkonzert“, bei der das Publikum Songtitel auf die Bühne ruft, welche die Künstler spontan interpretieren müssen. Jeder darf sich einen aussuchen in den 20 Sekunden, ansonsten winkt ein Strafsong, der meist in einer formidablen Blamage enden würde, weswegen er zu vermeiden ist.

Ich mag die Ursprünglichkeit in Humor, Intelligenz und Aufmachung dieses Projektes. Ich besuche die Seite nicht oft, sondern nur, um die Shows zu gucken, oder ein Ticket für die TVnoir-Konzerte zu erwerben (Geheimtipp!), doch jedes Mal gebe ich gerne „TVnoir.de“ im Adressfeld ein und drücke Enter.

In diesem Sinne: Ich wünsche Ihnen ein Konzert.

Und mir wünsche ich, dass andere Menschen ihre Lieblingsseiten mit uns teilen möchten.

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...weltenbruchstücke auf der suche nach ihrer identität. von asynchronen zeitmesseinheiten und weltereignissen zwischen tür und angel. von schlafenden menschen und warum man sie (nicht) wecken sollte...

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